9. Februar 2012
Pascal Janovjak ist ein Basler Schriftsteller, den man aber in Basel kaum kennt, denn er schreibt französisch. Sein erster Roman heisst: L’invisible. Seine Mutter kam aus Mulhouse und sein Vater floh damals aus der Slowakei. Er lebte in Jordanien, im Libanon, in Bangladesh, in Ramallah und in Rom. Im Herbst 2010 begegnet er bei der Verleihung eines Preises in Monaco Kim Thùy. Sie ist eine Schriftstellerin aus Québec, mit zehn Jahren als boat people aus Vietnam geflohen. Auf deutsch gibt es von ihr den Roman: Der Klang der Fremde zu lesen. Nach dieser Begegnung entstand eine Briefwechsel, der nun von Oktober bis Dezember vorliegt: à toi, heisst er. Interessant an diesem Mail-Wechsel sind die Biografien der beiden, Migrationsbiografien. Pascal erzählt Thùy, dass er sich nirgends an seinem Platz gefunden hat, so wie sein Grossvater schon. „Contrairement à toi, je me sens à ma place partout. Je suis comme l’eau: j’épouse la forme du contenant, sans savoir comment résister“, schreibt Kim. So geht der Ball assoziierend hin und her. Die beiden mögen sich sehr, es sind verliebte Briefe. Sie aber ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er eine schwangere Freundin. Einmal schreibt Pascal von einer Frau, die sich an ihn heranmacht, mit ihr wäre nichts geworden, aber „avec certaines autres je pourrais sans doute passer toute une vie, mais je n’en ai qu’une, de vie“. Nur ein Leben, aber keine Heimat. Einmal erzählt er von Jad in Ramallah, der immer wieder von der Besatzungsarmee abgeholt und ausgequetscht wird. Als „Pfand“ hält man seinen Vater gefangen und stellt Jad immer wieder in Aussicht, dass dieser freikommen könnte, wenn er bloss reden würde. Jad tut es nicht und Pascal meint dazu: „Si j’avais une patrie, je la vendrais sans ciller“. Ueberhaupt Ramallah. Der ganz normale alltägliche Wahnsinn, gelassen erzählt. Pascal zitiert Michel Chaillou, der einmal gesagt haben soll, dass der Schriftsteller wie ein Hausdiener sein sollte. Ein Hausdiener, der am grossen Fenster steht und dort das Geflüster der Reichen im Salon hört, aber auch die Schreie der Strasse. Kim hat sich integriert in Québec, sich sehr häuslich nieder gelassen, aber an kleinen Verrichtungen blitzt die schwierige Vergangenheit durch, etwa dass sie die Gewohnheit verloren hat, sich im Spiegel anzusehen: „Depuis la vie dans le camp de réfugiés où il n’y avait pas de miroir, j’ai perdu l’habitude de contempler mon reflet“. Migrationsbiografien – beide sind des Lobes voll über den Empfang im neuen Land. „Ces gens qui nous ouvraient les bras comme si nous étions les enfants adoptifs dont ils attendaient l’arrivée avec fébrilité“. Und auch Pascal schreibt, dasss ein Vater in der Schweiz gut aufgenommen wurde „par un couple que je considère aujourd’hui comme mes grands-parents“. Und auf die Gegenwart bezogen meint er nachdenklich: „Je me damande si cette hospitalité appartient à une autre époque“. Eine schöne Lektüre.