22. Juli 2018
Das ist eine Lektüre für jene, die der Meinung sind, dass sich die Intellektuellen zu wenig an den aktuellen Debatten beteiligen. Hier wäre ein solcher Beitrag, sehr aktuell. Aber man muss sich
halt schon ein bitzeli anstrengen.
Und es ist auch eine Lektüre für jene, die sich die Mühe gemacht haben, den ganzen Koran nach Gewaltstellen zu durchsuchen. Sie sind jetzt vielleicht zu müde, auch die Bibel nach den gleichen
Kriterien zu durchforsten, weil die ja dicker ist. Sie können sich diese Mühe ersparen und dieses Buch lesen, Assmann hat für sie die relevanten Stellen schon fein säuberlich herausgesucht.
Der Aegyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann beschäftigt sich schon eine ganze Weile mit der Gewalt und dem Gewaltdiskurs in der Bibel. Ausführlich in seinem Buch „Exodus“. Er hat
in Fachkreisen, insbesondere bei den Theologen, eine heftige Diskussion ausgelöst. Auch der spätere Papst Razinger hat sich eingebracht, sehr gescheit übrigens.
Worum geht es? Einfach gesagt, ich hoffe nicht zu einfach, Herr Assmann. Er setzt, wie weiland Sigmund Freud, bei Moses an. Freud hatte wohl den richtigen Richer, aber seine Moses-Mordgeschichte,
die damals Mode war, ist völlig aus der Luft gegriffen. Ob die Moses-Geschichte nun irgendwas Historisches hat oder nicht, ist hier völlig egal, es geht um die Gründungserzählung, die bis heute
weiter überliefert wird. Assmann sagt, dass mit dem Moses etwas in der Religionsgeschichte Singuläres passiert ist. Ein Gott geht nämlich mit einem Volk einen Bund ein. Also ich Gott schau zu
euch, ihr haltet dafür mir und nur mir die Treue. So wird radikal aus Religion Politik. Wie kamen die Erfinder dieses Konzepts auf diese Idee? Hier kommt der grossartige Freiburger
Alttestamentler Othmar Keel zum Zug. Er geht mit vielen Forschern davon aus, dass die bündnisrelevanten Texte im babylonischen Exil entstanden sind, in dem die Hebräer etwa drei Generationen lang
schmachteten. Er kann nun zeigen, dass sie die Bündnis-Idee von den assyrischen, babylonischen Königen übernommen haben. Diese haben von ihren Untertanen als Gegenleistung für ihren Schutz
absolute Loyalität verlangt. Aus der Loyalität wurde Treue dem Gott Abrahams gegenüber und er wurde eifersüchtig. Das ist die Idee von der „mosaischen Unterscheidung“. Wer nicht für mich ist, ist
gegen mich. Und schon als Moses vom Sinai runter kam, wurden die ersten tausend getötet, weil sie eben gegen ihn waren. Fremde, die nicht zu diesem Bündnis gehörten, wurden ohne Skupel
reihenweise getötet, eigene Leute ebenfalls, falls sie sich mit Fremden eingelassen haben. Jetzt muss man aber aufpassen. Der Gewaltdiskurs, der in der Bibel sehr verbreitet ist, ist noch nicht
physisch ausgeführte Gewalt. Wie aber wird aus dem Gewaltdiskurs Gewalt? Hier kommt das Neue an diesem Buch. Assmann hat sich, und jetzt bekommen wohl einige Bibeli, in die
Staatsphilosophie von Carl Schmitt vertieft (er war ein ziemlich windiges NSDAP-Mitglied). Er entlehnt sich dort dessen Begriff vom „Ernstfall“. Um die Politik von einem Land zu verstehen, müsse
man sie vom „Ernstfall“ her denken und das sei der Krieg. Dann gibt es nur noch Freund und Feind. Freund und Feind sind auch zu Friedenszeiten existierende Kategorien, bloss sind sie durch
Gesetze und Verhandlungen wie verdeckt. Gewalt bricht dann eben im „Ernstfall“ aus, wenn sich der „totale“ Staat über alle anderen Bereiche der Gesellschaft stellt, über die Wirtschaft, die
Kultur,… über die Moral. Aehnlich bei der „totalen“ Religion, die sich über alle anderen Bereiche stellt. Typisches Beispiel für den Durchbruch vom Diskurs zur tatsächlichen Gewalt: das „Blut“.
Das eigene Blut ist gefährdet durch fremdes Blut. Fremdes Blut, das schliesslich den Bund gefährdet. Im Raum steht ja dann immer der Zorn des eifersüchtigen Gottes. Noch zur ägyptischen Zeit
schüttete Gott ganz alleine, ohne Zuhilfe der Menschen, seine Plagen über die Aegypter aus, jetzt nehmen es die Menschen in die Hand, den Zorn Gottes abzuwenden und bringen die Abtrünnigen selber
um. Beispiele für die Gewaltausbrüche der Vertreter einer „totalen“ Religion gibt es zuhauf. Bei den Hebräern, Juden, Christen, Muslime. Zuletzt wohl bei den Wahabiten und den Islamisten. Ganz
kurz: Religion kann ganz schön gefährlich werden. Vielleicht wie ein Küchenmesser. Mit dem kann man Rüebli schneiden, man kann es aber auch dem/der PartnerIn in den Ranzen stecken. Oder wie es
ein welscher FB-Freund hier einmal, zwar etwas vulgär, aber doch treffend ausdrückte: „La religion c’est comme les couilles. On les aime bien, mais on ne les montre pas à tous le monde“. Sorry,
Jan Assmann.
Jan Assmann und seine Frau Aleida, eine ausgezeichnete Kulturwissenschaftlerin erhalten im Oktober übrigens den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.