Frühling der Barbaren

21. November 2015

Ein älterer Schweizer Firmenbesitzer wird von seinem CEO zu Geschäftsfreunden nach Tunesien in die Ferien geschickt. Dort gerät er in einer Oase in eine Hochzeit von jungen Bankern aus der Londoner City. Noch während der Hochzeitsfeier geht England bankrott. Jonas kann wirklich schreiben. Die Anlage eines doppelten Icherzählers ist zwar reizvoll, schafft aber noch größere Distanz zu den Jungs aus der Londoner City, die man eigentlich wenig zu spüren bekommt. Witz und Humor ja. Aber am Schluss bleibt eigentlich nichts. Die Jungs sind hohl, aber dem Autor fällt auch nichts ein, was die Geschichte vom zynischen Abgrund retten könnte.


Elefanten im Garten

21. November 2015

"Ich mag die deutsche Sprache nicht; sie ist meine Muttersprache. Meine Mutter spricht kein Deutsch. Mit dem Verlassen meiner Kindersprache habe ich mich selbst verlassen." Solche Sätze machen das Buch von Meral Kureyshi lesenswert. Und aus Immigrantinnen hat sie vielen anderen Autoren etwas voraus: sie hat etwas zu erzählen. Was mir allerdings etwas fehlt ist die Geschichte, ein Anfang und ein Ende und dazwischen ein Spannungsbogen.


Dunkler Weg zum Teich

4. November 2015

Ein zwölfjähriger Bub schildert die Ereignisse in seinem Dorf. Die Italiener in ihren Baracken, die Verdingkinder, die Schwulen, die Behinderten. Eine ziemlich grauslige Welt aus der Freiburger Kindheit von Jean-François Haas. Gut, dass wir nun auch eine Uebersetzung auf deutsch haben. Haas beschreibt grossartig Landschaften und Stimmungen. Die Figuren sind für mich wie aus einer anderen Zeit und Welt. Der Vater etwa des Buben, Fabrikarbeiter und Gewerkschafter ist durch und durch gut und ohne Tadel, kämpft für seine Kameraden, die es ihm aber nicht lohnen. Seine Frau ebenfalls eine Heilige, aber wie es sich für eine Frau gehört, etwas schwächer. Und die Bösen sind halt bös. Aber - lesenswert!


Dreh-Ort

9. September 2015

Antoinette Schwab kann nicht nur Naturwissenschaften, sie kann auch Film und Wandern. Sie führt an über dreissig Drehorte in der Schweiz, hat viele Akteure von damals ausfindig gemacht, erzählt allerlei Vergnügliches, etwa den Besuch von Chaplin auf der Glungge beim Dreh von Ueli der Pächter. Gute Karten und Hinweise zum Erwandern der Drehorte.


Walliser Totentanz

30. August 2015

Ein grossartiger Roman über das Wallis um 1500. Erzählt wird die grosse Geschichte: Franzosen und der Papst bekämpfen sich, Supersaxo und Kardinal Schiner im Wallis. Erzählt wird aber auch die Geschichte der kleinen Leute im Oberwallis, die unter diesen Herrschaften zu leiden haben. Zu leiden aber vor allem unter der Herrschaft der Kirche. Eine unbarmherzige, leidvolle, zynische Zeit. Ryser vermag den Leser über 600 Seiten mitzunehmen. Man kann eigentlich nur Kleinigkeiten kritisieren, die bei historischen Romanen unvermeidbar sind. Wir wissen ja nicht in allen Details, wie es damals zu und her ging und wie die Leute dachten. Ich werde nun wieder ganz anders durchs Wallis reisen.


Histoire de la littérature en Suisse romande

2015

Wichtig ist das "en". Es gibt keine littérature Suisse romande, aber littérature EN Suisse romande. Die Geschichte erschien zuerst mehrbändig zwischen 1997 und 1999. Jetzt in einem Band auf 1700 Seiten. Man fängt im XVI. Jahrhundert an und wagt sich bis in die Gegenwart, was natürlich böses Blut schafft, weil es noch eine ganze Menge von AutorInnen gibt, die es gerne in die Geschichte geschafft hätten. Da sind sie also vereint, zwischen Calvin und Chessex, Germaine de Staël und Alice Rivaz, Chapatte und Aude Seigne. Immer wieder schön, darin zu blättern.


Die Glut

20. August 2015

Ich hab da ziemlich Verspätung. Der Roman wurde im deutschen Sprachraum 1999 wiederentdeckt, geschrieben 1947. Márai hat seine Roth, Schnitzler, aber auch Freud sehr gut gelesen. Und auch Bourdieu mit den feinen Unterschieden hat er großartig vorweggenommen. Die Geschichte einer Männerfreundschaft, ihre dramatisches Ende und die Analyse davon.


Vor Ort

29. Juli 2015

Sie war die erste Frau in der Redaktion des Zürcher Tages-Anzeigers, die erste Auslandredaktorin der Schweiz. Die Journalistin Regula Renschler war in der publizistischen Szene der Schweiz eine prägende Figur und als solche auch eine Vorreiterin für die Chancengleichheit der Frauen. Ihre Themen umfassten ein breites Spektrum: die neue Dritte Welt und den Postkolonialismus, den Rassismus in den USA und den Clash der Kulturen, die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten, auch in der Schweiz und Europa. Sie war vor Ort, als Kennedy ermordet wurde, sie schrieb über den Krieg in Biafra und war in Moçambique, Angola und Guinea-Bissau, als die portugiesischen Kolonien unabhängig wurden. Sie dokumentierte den Jurakonflikt, berichtete über den Prager Frühling und löste mit israelkritischen Kommentaren 1970 eine Polemik aus. In Timbuktu sprach sie mit den Bibliothekaren der legendären Stadt und den Tuareg in der Wüste.

Die Schwerpunkte ihrer Reportagen und Analysen lagen beim Alltag der Menschen, die nicht zu den Eliten gehören, und bei deren Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit. Ihnen wollte Regula Renschler eine Stimme geben. Davon zeugt eine Auswahl ihrer Texte in diesem Buch. (LENOS.Ch)


Petit lexique des belles erreurs de la langue française

2015

Da sind einige Beispiele aus einer Sammlung von rund 3000 gesammelten Irrtümern der französischen Sprache im täglichen Gebrauch der Journalisten in der französischen Schweiz. Zusammengetragen - natürlich von Mitarbeitern der ATS, der welschen SDA. Sehr schön die Beispiele von Germanismen, die man nicht so vermuten würde. Zum Beispiel: "en son temps". Geht französisch nur, wenn das "son" ein Subjekt dabei hat, zB Chaque chose en son temps. Wird aber häufig ohne gebraucht, angelehnt an das deutsche "seinerzeit". Oder "prévisions du temps" - Wetterprognose. Aber französisch stellt le temps keine prévisions.


Dichter im Abseits

27. Juli 2015

Dieter Fringeli, ebenfalls Dichter im Abseits, hat 1974 elf Schriftsteller porträtiert. Die meisten von ihnen sind unbekannt geblieben. Eine Entdeckung für mich: Jakob Schaffner aus Basel. Ein glühender Naziverehrer und grossartiger Schriftsteller, vorab seine Internats- und Jugendromane. Peter von Matt hat ihn vor Jahren neu herausgegeben und versucht, das Schweigen über ihn zu brechen. Wir tun und mit solchen Figuren schwer. Wie etwa die Franzosen mit Céline.


Le Voyage à l'étranger

20. Juli 2015

Dass der welsche Schriftstellerstar 1974 so ein Buch herausbringt, erstaunt mich schon. Es spielt 1973 mit Adel und schmachtender Liebe auf 450 Seiten, als wären wir im 19. Jahrhundert. Ein junger Schweizer, Vater unbekannt, leidet zuerst einmal 200 darüber. In Brügge will er Benediktiner werden. Die wollen aber nicht. Schmach. Dann wird er Hauslehrer in Grafs von einem kleinen Lümmel, verliebt sich unglücklich ("Ainsi avais-je la sensation d'avoir été pour Madeleine un plat qu'on ne finissait pas"), wird entlassen und kehrt zurück in die Schweiz. Aber vielleicht muss man das Buch mit einem marxistischen Auge lesen oder so.


Exodus

18. Juli 2015

Wir werden heutzutage gerne aufgefordert, doch den Islam besser zu verstehen. Gut so. Schauen wir dazu besser noch weiter zurück, zu den Wurzeln des Judentums und zum zentralen Text der Exodus-Geschichte. Der Ägyptologe und Religionswissenschafter Jan Assmann schreibt nicht zum ersten Mal darüber. Man erzählt da vom Frondienst der Hebräer in Ägypten, dem Aufstieg Mose, dem Auszug, Sinai und die 10 Gebote. Assmann liest das Buch als eine Erzählung, die in der Vergangenheit spielt (um 1200 v.Chr) aber die Gegenwart (500 v.Ch) meint. Israel war damals ein kleines Untertanenvolk im Persischen Reich. Es besass keinen König, und sein Tempel, 586 v. Chr. verwüstet, lag noch in Trümmern. Statt des Königs erlässt Israels Gott höchstpersönlich die Sozial- und Kultordnung. Er verheisst göttliches Wohlwollen «denen, die mich» – Gott – «lieben und meine Gebote halten». Die Beziehung zwischen dem Volk Israel und seinem Gott wird als Liebesbeziehung geschildert. Das Volk «glaubt» an den Gott und ist ihm «treu» – oder auch einmal «untreu», wenn es göttliches Gebot übertritt. Assmann spricht von einem emotionalen «Monotheismus der Treue». Damit entsteht ein neuer Typus Religion. Ein Liebesverhältnis zwischen Gott und Volk.

Die affektive Revolution des Buches Exodus und der «Monotheismus der Treue» hat Schule gemacht. Von Christentum und Islam übernommen, ist der affektive Monotheismus zum weltweit führenden Religionsmodell aufgestiegen. Dass in ihm Gewalt angelegt sei, hat Assmann in früheren Publikationen zu bedenken gegeben.


Eine Frau in der Sonne

7. Juli 2015

Der Norweger Frode Grytten macht eigentlich Bildbetrachtungen. Lauter Bilder von Edward Hopper. Er spinnt von der dargestellten Situation Geschichten weiter. Die etwas entrückten Bilder werden sehr lebendig, Liebesgeschichten entstehen oder zerbrechen. Ganz unbescheiden habe ich auch mal versucht, mir von einem Hopper-Bild aus eine Geschichte auszudenken. Leider um Lichtjahre von dem entfernt, was Grytten tut.


La Scierie

5. Juli 2015

Das Buch ist zum ersten Mal 1975 erschienen. Pierre Gripari ist nicht der Autor, ihm kam das Manuskript in die Hände und er publizierte den Text. Ein junger Mann fällt bei der Matur durch, sucht sich Arbeit und findet sie in einer Sägerei. Das ist Arbeiterliteratur, unglaublich harte Arbeit in den 50er-Jahren, aber noch mehr. Die harte Arbeit, die auch die Menschen hart macht. Arbeit und Männlichkeit, Grenzen überschreiten.


le prix

5. Juli 2015

"le prix" wurde mit dem Dentan-Preis ausgezeichnet. Ein Erstligsroman. Ein Bildhauer schickt jedes Jahr ein Werk an die Jury und nie bekommt er einen Preis. Wir sind in einer seltsamen Welt. Die Werke entspringen dem Bauchnabel und heissen Ropf. Der Bildhauer heisst Moi, seine Frau S und die Kinder Moufflet und Remoufflet. Moi weiss weshalb es nicht vorwärts geht mit seiner Kunst - die Familie ist schuld. Die Kinder und die Frau. Eine burleske und und witzige Geschichte.


Adrienne von Speyr

30. Juni 2015

Es gibt wahnsinnige Geschichten. Etwa die von Adrienne von Speyr. Die nicht wahnsinnige Version geht so: 1902 geboren in La Chaux-de-Fonds, später Aerztin in Basel, gestorben 1967. Die verrücktere Geschichte. Das fröhliche, aber kränkliche Mädchen, von ihrer Mutter nie akzeptiert, war von klein auf fromm, hatte als junge reformierte Frau in La Chaux-de-Fonds eine Vision. Sie hat auf einer Treppe Ignatius von Loyola auf sich zu kommen. Im Protestantismus fühlte sich nie richtig wohl, fand aber auch keinen Zugang zum Katholizismus, bis sie in Basel Hans Urs von Balthasar traf, der dort Studentenseelsorger war. Sie konvertierte 1940. In erster Ehe war sie mit dem Jacob Burckhardt-Spezialisten Ernst Dürr verheiratet und nach dessen Tod mit seinem Nachfolger Werner Kägi. Hans Urs von Balthasar war einer der grössten Theologen des 20. Jahrhunderts, ein Vorbereiter des 2. Vatikanischen Konzils, Benedikt XVI, der nun Zeit dafür hat, soll sich intensiv mit dessen Schriften auseinandersetzen. Von Balthasar lässt sich also auf von Speyr ein. Die Aerztin hat regelmässig Visionen. Nicht so wie wir sie etwa von Bernadette in Lourdes kennen. Sie versetzt sich in einen anderen Zustand und diktiert. Von Balthasar hat rund 30 Bücher mit diesen Diktaten gefüllt. Keine Apokalypsen oder so, sondern fast alles eine Art Bibelkommentare, Leben von Heiligen. Und: die Frau trug auch die Stigmata. Die Wundmale, wie sie etwa auch Franziskus oder Padre Pio trug. Von Balthasar trat dann bei den Jesuiten aus und gründete mit von Speyr einen Drittorden. Und das alles spielte sich im reformierten Basel ab, das zu dieser Zeit den Katholiken noch nicht einmal eine Fronleichnamsprozession erlaubte. Ein kleiner Kreis war eingeweiht, grosse Intellektuelle, vorab Theologen, wie etwa Karl Barth oder Karl Rahner. Leider gibt es wenig über diesen Kreis und über Adrienne von Speyr zu lesen. Eine Mystikerin oder eine „Exaltierte“, wie einer später schrieb? Und natürlich wüssten wir auch gerne mehr über das platonische Verhältnis der beiden zueinander.


Der mundtote Schweizer Private Banker

30. Juni 2015

Roger Reiss hat uns mit seinen Büchern das jüdische Leben in Zürich und in Genf näher gebracht. Fischel und Chaye. Szenen aus dem Zürcher Stetl, 2003, Leon und Lucie. Erinnerungen an das Zürcher Schtetl, 2008, Nicht immer leicht, a Jid zu sein. Geschichten aus dem jüdischen Genf, 2010, Le Moule à ragots: Chronique de la vie juive genevoise, 2012 (stark erweiterte Übersetzung von Nicht immer leicht, a Jid zu sein). Jetzt hat er vom Historischen und Anekdotischen seiner Vorfahren in seine eigene Biografie gegriffen. Roger Reiss war Banker und er erzählt uns, was es heisst Banker zu sein. Wir wissen das eigentlich gar nicht so recht, woher auch. Er schreibt eine autofiktionale Geschichte, erzählt wie Karl Engel in der Schweiz auf seine Mission eingeschworen wird, möglichst viel Geld zu akquirieren. Brutale Szenen spielen sich da im Konferenzraum ab. Engel wird nach Südafrika geschickt, im Jahr 1994, ein Land im Ausnahmezustand. Engel gerät immer mehr von der Rolle, er ist nicht der ausgekochte Zyniker. Roger Reiss hat den Roman selber verlegt, kein Schweizer Verlag wollte das Buch herausbringen. Schade. So selten sind wir selten einem Banker dran. Der mundtote Schweizer Private Banker, CreateSpace 2015


Eine Jugend

22. Mai 2015

Auch das ein Buch aus der beliebten Reihe "alter Mann schaut zurück in die Jugend". Aber wirklich gut. Und von Handke übersetzt.


Vom Ende einer Geschichte

22. Mai 2015

Ein Buch für ältere Männer: Da blickt einer vierzig Jahre zurück, war beruflich erfolgreich, glücklich geschieden. Die Zeit zwischen 16 und 25 ist die wichtigste im Leben, sagt er mal. Und um diese Zeit dreht sich alles. Jugendfreundschaften, die das Leben zerstört.


Ostende 1936 fr

22. Mai 2015

Lire! Von Volker Weidermann


Ostende 1936 de

28. April 2015

Im Sommer 36 treffen sich zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland und Österreich. Alles andere als eine Klassen-Zusammenkunft: die Bücher werden kaum mehr verlegt, die Schriftsteller wissen nicht wohin. Es herrscht eine seltsame Stimmung zwischen Witz und Verzweiflung. Im Mittelpunkt des Buches von Volker Weidermann stehen Stefan Zweig und Joseph Roth, eine sehr berührende Beziehung zwischen dem West- und dem Ostjuden. In Erinnerung bleibt mir, was die junge sehr schöne Geliebte vom Revolutionär Ernst Toller später erzählte. Wenn sie ihm den Koffer packte (das m achten Frauen damals so), durfte sie nie vergessen, auf die Wäsche den Strick zu legen, damit er nie in Verlegenheit komme, wenn er sich erhängen wollte.


Treffen sich zwei Hegelianer

19. April 2015

Ein ganzer Zizek würde mich glatt überfordern, aber für diese Witzesammlung reicht es.


Mariage de raison

11. April 2015

Die Schweiz weist die größte Dichte an Röstigraben-Experten auf. Jetzt ist für sie alle Weiterbildung angesagt. Christophe Büchi hat sein Buch erweitert und überarbeitet, es erscheint allerdings nur auf Französisch.